Stadt Ortelsburg   [Szczytno]

Die Kreisstadt Ortelsburg ist nächst Lyck die bedeutendste Stadt in Masuren. Sie zählt zur Zeit 9600 Einwohner; das Mehr gegen 1914 ist auf die Vergrößerung der Garnison zurückzuführen. Prächtig am Kleinen und Großen Haussee gelegen, in der Nähe von herrlichen Forsten umgeben, bietet sie den Typus einer Masurenlandschaft. Sie liegt an der ostpreußischen Grenzbahn Allenstein – Lyck, ist in 1 Stunde von Allenstein zu erreichen und steht seit 1900 mit Willenberg – Neidenburg, seit 1909 mit Bischofsburg – Rothfließ in Bahnverbindung. Außerdem führt die wichtige, fast genau von Norden nach Süden laufende alte Land- und Heeresstraße, jetzt Chaussee Bartenstein – Willenberg, über Ortelsburg. Dieses besitzt alle Errungenschaften einer modernen Stadt: Wasserleitung, Kanalisation, Gaslicht, elektr. Starkstrom, Schlachthaus mit Kühlhalle. An Erziehungsanstalten sind zu nennen das aus der Privat-Knabenschule hervorgegangene 1913 anerkannte Reform-Realprogymnasium, welches einen prächtigen Neubau erhalten und dann zur Vollanstalt ausgebaut werden soll, ein Lehrerseminar – mitten in einem herrlichen alten Park gelegen –, eine höhere Mädchenschule, zwei Volksschulen und die kaufmännische und gewerbliche Fortbildungsschule.

Ortelsburg ist Sitz eines Landratsamtes, eines Amtsgerichts, einer Oberförsterei, eines Postamtes I, eines Eisenbahn-Betriebsnebenamtes, einer Kreisbauinspektion, zweier Katasterämter, zweier Kreisschulinspektionen, eines Steueramtes I. Industrielle Unternehmungen sind vertreten durch 2 Mahlmühlen, 3 Schneidemühlen, eine Leistenfabrik, 2 Ringofenziegeleien, 2 Kalksandsteinfabriken, 1 Bierbrauerei. Das Vereinsleben war vor dem Krieg recht lebhaft; genannt seien: Kriegsverein, Turnverein, Radfahrerverein, Schützenverein, Konzertverein, Liedertafel, kaufmännischer Verein, Bienenzuchtverein, Verein der Maurer- und Zimmerleute, freiwillige Feuerwehr, evang. und kath. Arbeiterverein, Jünglingsverein. Es wird gewiss in der neu erstanden Stadt wieder zu kräftiger Betätigung aufblühen; ein Ruderverein ist bereits unter Vorsitz des Landrats jüngst gegründet worden.

An alte Zeiten erinnert heute noch die Burg. Allerdings ist nicht viel mehr von ihrer ursprünglichen Gestalt erhalten. Schon 1370 wurde sie vom Litauischen Großfürsten Kynstutte zerstört. 1581 hat nach Heunenberger "Markgraf Georg Friedrich viel schöne Gemächer da machen lassen". 1786 wurde das Domänenamt aufgehoben und 1792 ein Kriegsmagazin daselbst eingerichtet. Zu erkennen ist heute noch der viereckige Wall und Graben (Bild 3) das Fallgitter am Tore sowie Stücke rauchgeschwärzter Mauern von Feldsteinen und Ziegeln in der Vorburg. Die Mauereskape des Grabens der Burg und noch etwas höher die der Vorburg und der Graben sind ziemlich erhalten. Spätere Gebäude stehen zum Teil auf der Mauer der alten Burg (Bild 4).

Über die kirchlichen Bauten der Stadt ist folgendes zu erwähnen: die jetzt ev. "Pfarrkirche", deren Patron der König ist, wird 1493 genannt, wo ihr Pfarrer zugleich Geistlicher von Menczelsguth (Mensguth) ist. Die Kirche brannte 1716 aus. Der Altar stammt aus dem Jahre 1773, die Kanzel 1719. Die katholische Kirche wurde im Jahre 1899 fertiggestellt, die Baptistenkirche ist 1903 erbaut. Die Synagoge wurde während der Schlacht bei Ortelsburg ein Raub der Flammen; sie stand in der Kaiserstraße.

Das Wappen der Stadt Ortelsburg ist ein nach links springender Hirsch auf grünem Boden, in einem Tannenwald. Die Farben sind: rot – weiß – grün.

Die Stadt besitzt in dem von Kommerzienrat Anders gestifteten Anderspark einen prächtigen Schmuckplatz. Auch der in 15 Minuten zu erreichende Stadtwald, zu dem eine neu angelegte Promenade führt, ist das beliebte Ziel der Spaziergänger.

Als Garnison hat Ortelsburg seit 1890 das Jäger-Bataillon Graf Yorck von Wartenburg (Ostpr.) Nr. 1 mit seiner Maschinengewehr- und Radfahrerkompanie.

Das Bataillon gehöhrt zu den ältesten Truppenteilen Preußens. Als Stiftungstag gilt der 15. Juni 1744, als König Friedrich der Große die Einrichtung eines Korps Feldjäger anordnete. Das Korps sollte sich rekrutieren aus den "Söhnen möglichst einheimischer Forstbeamten, die mit der Waffe vertraut und durch ihren Beruf an Strapazen und Gefahren mancherlei Art gewöhnt, auch gute Soldaten werden mussten". Wer mehrere Jahre treu gedient hatte, erhielt Anstellung im Staatsforstdienst.

Die grundlegenden Bestimmungen sind beibehalten worden. Gute Auswahl des Ersatzes, vorzüglichste Schießausbildung sind auch heute hervorstechende Eigenschaften der Truppe. Daher hat das Bataillon an allen Kriegen hervorragenden Anteil genommen.

In den Schlesischen Kriegen zeichnete sich das Korps besonders bei Hochkirch und den Kämpfen um Berlin aus, erlitt aber solche Verluste, dass es neu formiert werden musste.

Dieser Tradition ist das Bataillon treu geblieben. 1808 erfolgte die Teilung des inzwischen zum Feldjäger-Regiment angewachsenen Korps in das Garde-Jäger-Bataillon und das Ostpreußische Jägerbataillon.

Für die Teilnahme an den siegreichen Feldzügen 1812 bis 1815 erhielt das Bataillon die Fahne. Es wurde nach Königsberg verlegt; 1818 siedelte es nach Rastenburg über. In den Polenaufständen versah es den Grenzschutz in unserer Gegend. 1848 erhielt es die dritte Kompanie, 1852 die vierte, 1859 das Zündnadelgewehr.

In den großen Einigungskriegen war das Bataillon immer da, wo es am schwersten herging; es blieb bis zum 31. Juli 1871 in Frankreich und kehrte mit dem Eisernen Kreuz an der Spitze seiner Fahne heim nach Braunsberg, wohin es inzwischen verlegt worden war.

1884 erhielt es als neue Garnison Allenstein, 1889 Osterode. In demselben Jahre verlieh ihm der Kaiser den allen so vertrauten jetzigen Namen. Seit dem 1. April 1890 weilt es in Ortelsburg.

Die Nähe der Grenze brachte es mit sich, dass unser Bataillon mit zuerst in die schwersten Gefechte kam. In der Schlacht bei Tannenberg hat es sich bei Orlau-Lahna (siehe Seite 55) neuen unvergänglichen Ruhm erworben.

Es ist noch nicht an der Zeit, näheres über die weitere Teilnahme am Weltkrieg zu berichten, eins ist aber sicher: Das Bataillon hat in schwersten Lagen unerschütterlich Ausdauer und im Draufgehen echten Jägergeist bewiesen.

Von 1886 - 1890 war Ortelsburg Standort des Füsilierbataillons des Grenadierregiments Nr. 4, Friedrich der Große (jetzt in Rastenburg).

Max Meyhöfer in „Ein Beitrag zur Geschichte der Stadt und des Kreises Ortelsburg vor dem Weltkriege und während der ersten beiden Kriegsjahre”   [1916]

Weitere Informationen finden Sie in dem Buch "Geschichte der Stadt Ortelsburg" von Hermann Gollub