Landgemeinde Lindenort (Lipowitz)   [Lipowiec]

Aus Geschichte, Wirtschaft und Kultur

Lipowitz (Radzien) ist als Schatulldorf 1666 vom Großen Kurfürsten angelegt. Nach dem Wortlaut des Gründungsprivilegs (Ostpr. Fol. 380/17) wurde "dem preußischen Untertan Woytek Kowal ungeräumtes Wildnisland (40 Huben) in Gnaden eingeräumt und übergeben mit der Weisung, ein Dorf anzulegen. Die Dorfinsassen sollen", so hieß es in der Handfeste, "fünf Jahre von allen Lasten als Scharwerk und Zins befreit sein. Nach Ablauf der Freijahre soll Woytek Kowal zum Schulzenamt zwei Hufen, jede für 100 Mark, käuflich erwerben und den Betrag an die kurfürstliche Schatulle abführen. Die Bauern sollen von jeder Hufe acht Mark preuß. an Geld, einen Scheffel Roggen, einen Scheffel Gerste und einen Scheffel Hafer jährlich an das Amt abführen. Ihnen ist es verboten, Wild zu erlegen, auch sollen sie mit Wilddieben bei Verlust ihrer Einwohnerhube keine Gemeinschaft haben. Sollte der Schulz oder irgend ein Einwohner beim Entrichten des Zinses säumig sein, so soll alsdann die ganze Gemeinde des Dorfes für sotanen Rest haften." Lipowitz hatte zur Zeit der Pest (1709-1711) sehr gelitten: 100 Tote. 12 H werden in der Willenberger Prästationstabelle als "wüst" bezeichnet. Im Zeitalter Friedrichs des Großen wurden die Bauernstellen wieder besetzt. Folgende Assekuranten erhielten ihr Land zu erbfreien Rechten: Martin Fortak, Andreas Fidorra, Paul Galonski, Martin Nowodzin, Michael Rosowski, Wilhelm Sadlowski, Wilhelm Grzanna, Andreas Pawelzik. Gelegentlich der Separation der Korpeller Forst wurde Lipowitz am 3. Mai 1786 54 H 28 M "an Forst- und Scheffelplätzen" zugewiesen. Unter den 46 Wirten werden Martin Tanski, Thomek Fidorra, Jakob Puzicha, Wilhelm Stasch, Karl Jeromin, Fritz Grzanna genannt. In den Bereisungsprotokollen der Willenberger Prästationstabelle 1787 findet sich folgende Notiz: "Feuerungsbedarf und Bauholz muß aus der Korpeller Forst, Heubedarf aus Polen gekauft werden. Vermögensumstände nur dürftig." Im Zeitalter der Reformen stieg die Zahl der Wirte durch Erb- und Besitzteilungen. Die Separation war im Dorf laut Prästationstabelle Willenberg 16 im Jahre 1841 auf einer Fläche von 5968 M 101 R durchgeführt. Unter den Wirten werden 55 Schatullkölmer, acht Assekuranten, 21 Eigentümer (wenige Morgen groß), 17 Eigenkätner verzeichnet. Die Gemeindeauseinandersetzung führte wie in anderen Dörfern zu einer Kultivierung der Außenschläge der Gemarkung. Die ersten Ausbauhöfe entstanden, so 1879 Klein Lindenort. Bemerkenswerte Fortschritte in der wirtschaftlichen Entwicklung der Dorfgemeinschaft lassen sich erst um die Jahrhundertwende feststellen. Voraussetzung dieser Entwicklung war der Ausbau des Vereins- und Genossenschaftswesens im Geiste Raiffeisens. 1898 gründete Pfarrer Wiontzek für das Kirchspiel Lindenort den Darlehnskassenverein, der besonders für die bäuerlichen Kredite zur Beschaffung von Saatgut und künstlichen Düngemitteln in Anspruch genommen wurde. Am 5. März 1902 gründete Hauptlehrer Fiedrich mit den Bauern Chilla und Pawelzik den "landwirtschaftlichen Verein Lindenort", der den An- und Verkauf der landwirtschaftlichen Erzeugnisse auf genossenschaftlicher Grundlage erfolgreich durchführte. Um 1910/11 entstand auf Betreiben von Karl Schwidder die "Raiffeisen-An- und Verkaufsgenossenschaft". Kurz vor dem Zweiten Weltkrieg erbaute sie ein neues Raiffeisenhaus mit großem Lagerschuppen, um die Landwirte mit Düngemitteln, Saatgut und Hausbrand zu versorgen. Nach einer Mitteilung von Karl Schwidder wurde auch eine Kartoffeldämpfkolonne durch die Raiffeisenkasse gegründet. Die Kartoffeln wurden im Herbst eingekocht und in einem Silo eingelagert. Von hier konnte die täglich notwendige Futtermenge entnommen werden. Diese Einrichtung war insofern bemerkenswert, da sie den Bauern viel Arbeit und auch Verlust durch Fäulnis ersparte. Ein entscheidender Faktor in dieser Aufwärtsentwicklung war auch die Besserung der Verkehrsverhältnisse. 1891 wurde mit dem Bau der Chaussee Ortelsburg-Lindenort begonnen. Im Anschluß wurde die Chaussee Lindenort-Fürstenwalde ausgebaut. Durch den Bau einer weiteren Chaussee von Willenberg über Luckau (Lucka) nach Friedrichshof wurde der wirtschaftliche Aufstieg weiter gefördert. Handel und Gewerbe wurden belebt. 1907 errichtete Johann Lukas in Lindenort ein Dampfsägewerk und eine Mahlmühle. Besonders das Sägewerk war für das anfallende Holz der umliegenden Waldungen ein sehr nützlicher Wirtschaftsfaktor. Es bot auch der Einwohnerschaft vielseitige Arbeits- und Erwerbsmöglichkeiten. Dieses Unternehmen wurde durch Friedrich Witt noch modernisiert und vergrößert. Das Handwerk war nach einer Mitteilung von Karl Schwidder durch folgende Betriebe vertreten: Fünf Schmiedewerkstätten (besonders erwähnenswert die Werkstatt des Meisters Piwek), vier Tischlereien, von denen die des Meisters Dibowski moderne Holzbearbeitungsmaschinen besaß. Ferner waren im Dorf zwei Zimmerleute, ein Stellmacher, drei Schneider, fünf Schuhmacher, sechs Maurer, fünf Fleischer, eine Bäckerei und ein Uhrmacher. Die Gastronomie war in Lindenort mit drei großen Gasthäusern, gleichzeitig mit Kolonialwarengeschäften verbunden, vertreten. Das Textilgeschäft Wrobel versorgte die Einwohner mit Bekleidung, während das Warenhaus Pölsner neben Manufakturwaren u. a. auch Nähmaschinen und Fahrräder führte. In den letzten Jahren hatte diese Firma auch eine Autovermietung eingerichtet. Ilse Kraska besaß eine Drogerie, die in Ermangelung einer Apotheke mit Krankenschwester Charlotte Sendko manchem Kranken in der ersten Not half. Auf Betreiben von Karl Schwidder wurde Lindenort zum Marktflecken erhoben. Der erste Wochenmarkt wurde am 30. Oktober 1925 abgehalten. Am 23. April 1926 fand der erste Jahrmarkt statt, der fortan zweimal im Jahr abgehalten wurde. Anfang der dreißiger Jahre erhielten die landwirtschaftlichen Betriebe durch das von Landrat von Poser durchgeführte Meliorationswerk (Ausbau des Westkanals) einen bemerkenswerten Auftrieb. 1939 gab es in Lindenort 162 landwirtschaftliche Betriebe: 55: 0,5-5 ha, 40: 5-10 ha, 38: 10-20 ha, 29: 20-100 ha. Wirtschaftsfördernd wirkte auch die von dem Überlandwerk im Jahre 1937 durchgeführte Elektrifizierung.

KirchlicheVerhältnisse: Bis 1709 besuchten die Einwohner die Kirche in Ortelsburg, dann in Klein Jerutten. Erst 1816 stand ihnen die acht Kilometer entfernte Kirche von Fürstenwalde zur Verfügung. 1905 wurden die evangelische Kirche und das Pfarrhaus in Lindenort gebaut. Letzter Pfarrer: Margenfeld. Die Bevölkerung gehörte fast ausschließlich der evangelisch-lutherischen Konfession an. Nur etwa 30-35 Seelen bekannten sich zum katholischen Glauben. Sie gingen in die Kirche von Groß Leschienen. Zur Zeit der Vertreibung war Pfarrer Zink tätig.

Die Volksschule in Lindenort war während der Regierung Friedrich Wilhelms I. gegründet. Sie erhielt 1932/33 ein modernes Schulgebäude. 1939 waren vier Klassen vorhanden. Letzte Hauptlehrer: Ewert und Gunia.

Mit dem wirtschaftlichen Fortschritt hat sich auch das Vereinsleben des Ortes entwickelt: Ältester Verein: Kriegerverein, am 2. September 1904 von Amtsvorsteher Thalwitzer gegründet. Hausfrauenverein, 1905 gegründet. Schwesternstation des Hausfrauenvereins, betreut von der verdienstvollen Charlotte Sendko, 1924: Gemischter Chor. 1925 Kleinkaliber-Schützenverein. 1928: Fußball- und Sportverein. Ein schweres Los traf die Landgemeinde am Ende des Zweiten Weltkrieges. Über das Schicksal des Kirchdorfes entnehmen wir einem Bericht von M. Ewert folgende Angaben: Beim Einmarsch der Russen im Januar 1945 wurden ermordet: Gustav Brand, Jakob Ceranski, August Pawelzik, Emil Knizia, Adam Zimmek, Ehefrau Zimmek, Gustav Galonska, Altsitzer Simon, Ehefrau Simon, Karl Jakubassa, Ehefrau Jakubassa, Johann Cerwinski, Wilhelm Galonska, Toni Strieblinski, Wilhelm Preuß, Ehefrau Preuß, Fritz Schmidmann, Samuel Krzossa, Wittkowski, Friedrich Witt, Adam Przygodda, Johann Rodachowski, Ehefrau Rodachowski, Charlotte Tanski, Karl Piewek, Friedrich Tanski, Friedrich Mank, Hebamme Broschk, Wilhelm Pollak. Martha Fidorra wurde von Polen ermordet.

Verschleppt wurden fünf Personen. Auf der Flucht kamen 17 ums Leben. 33 Einwohner sind als Angehörige der Wehrmacht gefallen. Neun Soldaten werden vermißt.

Max Meyhöfer in "Die Landgemeinden des Kreises Ortelsburg" © 1984 by Kreisgemeinschaft Ortelsburg



Ausbauhöfe:   1. Fritz Bednarz   2. Wilhelm Grzanna   3. Friedrich Fidorra   4. Samuel Rosowski   5. Gustav Kupski   6. Rudolf Warrias   7. Wilhelm Piotrowski   8. Gustav David I   9. Wilhelm Zysk   10. Friedrich Buttler   11. Ludwig Ehlert   12. Johann Patz   13. Gustav David II   14. Samuel Czeranski   15. August Todzey   16. Ludwig Patz   17. Wilhelm Katzinski   18. Gustav Galonska   19. Wilhelm Warrich   20. Gustav Pawelzik   21. Christoph Chilla   22. Johann Rosowski   23. Johann Chilla   24. Gustav Zimmek   25. Heinrich Zimmek   26, Gustav Bechmann II   27. Martin Marquardt   28. Michael Gaczioch   29. Wilhelm Rohde   30. Gustav Kruppa   31. Emil Zimmek   32. Gustav Bublitz   33. Ludwig Klossek   34. Emil Knizia   35. Gustav Piontek   36. Gustav Tanski I   37. Friedrich Czerwinski   38. Friedrich Ziwitza   39. Friedrich Wieczorrek   40. Johann Czerwinski   41. August David   42. Gustav Sadlowski III   43. Gustav Bendisch   44. Gustav Katzinski   45. Gustav Kompa

Ergänzungsband "Die Landgemeinden des Kreises Ortelsburg" © 1971 by Kreisgemeinschaft Ortelsburg